Im Dreieck aus Studium, Sprache und Kultur.

Text + Bilder: Prof. Dr. Waldemar Zylka und Dr. Barbara Laaser*

* Prof. Dr. Waldemar Zylka, Professor der Physik und Medizintechnik an der Westfälischen Hochschule, ist der Initiator und Koordinator des M3-Unibral Projektes
* Dr. Barbara Laaser ist Leiterin der Pressestelle der Westfälischen Hochschule; sie berichtet regelmäßig über deutsch-brasilianische Kooperationen.  

In einem Studentenausaustausch-Programm zwischen der Universidade Federal de São Carlos und der Fachhochschule Gelsenkirchen beschäftigen sich deutsche und brasilianische Studenten mit den physikalischen Technologien Materialtechnik, Medizintechnik und Mikrotechnik und erleben ein für sie ganz neues Zusammenwirken von Studium, Sprache und Kultur.  

Kein Projekt lebt ohne die Köpfe, die es vorantreiben. Und so hat auch dieses deutsch-brasilianische Projekt viele Protagonisten. Zu aller erst sind es Studenten aus São Carlos und aus Gelsenkirchen. Stephan Euting und Manuel Kohlmann zum Beispiel, zwei Studenten aus dem Fachbereich Physikalische Technik der Fachhochschule Gelsenkirchen studierten zwischen Juli und Dezember 2009 Engenharia Fisica an der Universidade Federal de São Carlos (UFSCar) im brasilianischen Bundesstaat São Paulo. Zeitlich parallel studierten Victor Stabile und Guigo Caselato, brasilianische Studenten der UFSCar, Mikrotechnik und Medizintechnik in Gelsenkirchen. An den Gasthochschulen ergänzten die Studenten sechs Monate lang ihr Studium um Fächer, die an der Heimathochschule nicht angeboten werden.

Die Vorbereitung auf den Aufenthalt im Gastland nahm dies- und jenseits des Atlantiks ein Jahr in Anspruch. Zunächst mussten die Studenten die Hürde der hochschulinternen Bewerbung nehmen. Außerdem galt es,  sich bis zur Abreise um die nötigen Formulare zu kümmern: Visum, Versicherungen, Anträge, was es so braucht. Vor allem aber lernten sie die Sprache ihres Gastlandes, Deutsch oder brasilianisches Portugiesisch. Für den Erfolg im Studium eine Notwendigkeit, denn Vorlesungen, Seminare, Praktika, aber auch Prüfungen finden in der Sprache des Gastlandes statt. Hinzu kommt, dass die Lern- und Lehrkulturen in Brasilien und in Deutschland unterschiedlich sind.

Um das notwendige Geld mussten sich die Austauschstudenten nicht so sehr kümmern, denn sie erhielten eine Unibral-Förderung, die ein Vollstipendium inklusive Reisekosten enthält. Unibral ist ein Programm umfassender Zusammenarbeit zwischen brasilianischen und deutschen Hochschulen. Es wurde vom Bildungsminister der Republik Brasilien und der deutschen Bundesministerin für Bildung und Forschung vereinbart und wird vom DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) und seiner brasilianischen Partnerorganisation CAPES (Coordenação de Aperfeiçoamento de Pessoal de Nível Superior) durchgeführt.

Der Fachbereich Physikalische Technik der Fachhochschule Gelsenkirchen hat den Zuschlag für ein solches Unibral-Projekt mit dem Departamento de Física der UFSCar in São Carlos erhalten.  Ideengeber und Initiatoren des „Programa de Estudo em Engenaharia Fisica“ sind zwei Professoren der beiden Hochschulen: Prof. Dr. Fernando Araújo-Moreira, Professor der Physik an der UFSCar und Prof. Dr. Waldemar Zylka. Seit 2006 arbeiten sie gemeinsamen an Forschungsprojekten. Bereits 2007 war Zylka in São Carlos, 2008 Araújo-Moreira zu einem Forschungsgegenbesuch in Gelsenkirchen. Das „M3-Unibral“-Projekt, das die beiden Professoren partnerschaftlich koordinieren, begann im Januar 2009. M3 steht dabei für die Fächer Materialtechnik, Medizintechnik und Mikrotechnik, die drei fachlichen Ausrichtungen der in São Carlos und in Gelsenkirchen angebotenen Studiengänge der physikalischen Technologien. Die UFSCar in São Carlos ist stärker in der Grundlagen- und Materialforschung, sodass Gelsenkirchener Studenten hier auf einen echten Mehrwert für ihr Studium hoffen können. Auf der anderen Seite wollen sich Studenten der UFSCar in Gelsenkirchen intensiv  mit der Anwendung der Physik in der Medizin- und Mikrotechnik beschäftigen, darin ist die Physikalische Technik in Gelsenkirchen stärker. Die Idee des  ist es, die Studiengänge so aufeinander abzustimmen, dass Studierende beider Hochschulen an der jeweils anderen eine Zeit lang studieren können und dabei das eigene Fachspektrum um Themen ergänzen, die an der Heimathochschule nicht angeboten werden, und gleichzeitig interkulturelle Erfahrungen im Ausland sammeln.

Das M3-Unibral-Projekt hat eine Internetsite ins Leben gerufen: www.m3-unibral.net. Hier vernetzen sich Stipendiaten und ihre Freunde aus Deutschland und aus Brasilien. In Deutsch, Portugiesisch oder Englisch erhält man Informationen zu Stipendien, Organisation und Betreuung. Austauschstudenten berichten in Blogs über ihre Erfahrungen, über das  Studium an der Uni, das Leben im Wohnheim oder in ihren WGs und über ihre Entdeckungsreisen im Gastland.

Victor und Guigo fühlten sich unter den Studierenden in Gelsenkirchen auf Anhieb wohl: „Die Studierenden in Deutschland und Brasilien sind sich sehr ähnlich“. Mit den übrigen Deutschen und Deutschland war das schon ein größerer Unterschied: Viel zu kalt sei es ihnen in Deutschland und die Deutschen seien zwar sehr höflich, aber auch verschlossener als die Brasilianer, manchmal aber auch sehr direkt.

Dass Schweinegrippe auch positive Seiten haben kann, wussten Stephan und Manuel aus Brasilien zu berichten. Denn an Schulen und Universitäten fing der Unterricht im (brasilianischen) Sommersemester 2009 eine Woche später an. „Aber nicht, dass es in Brasilien noch langweilig wird, dachten wir uns und haben kurzerhand beschlossen nach Foz do Iguaçu zu fahren … und kamen im Prinzip zwei Tage lang nicht aus dem Staunen heraus", schreiben sie in ihrem Blog auf m3-unibral.net.

Und wie geht es weiter? Heute ist M3-Unibral so weit entwickelt, dass Anfang März 2010 die zweite „Generation“ von Austauschstudenten ihr Studium im Sommersemester (Nordhalbkugel) und im Wintersemester (Südhalbkugel) aufgenommen hat. Weitere “Generationen“ bereiten sich bereits intensiv vor. Die ersten M3-Unibral-Alumni planen nach ihrer Heimkehr bereits eine neue Visite der Gasthochschule. Zum Beispiel, um dort im Rahmen einer Masterarbeit oder einer Promotion in gemeinsamen Forschungsprojekten zu arbeiten. Längst ist ein transatlantisches Netzwerk aus Studenten und Alumni entstanden, es wurden neue brasilianisch-deutsche Freundschaften geknüpft. Zu den Protagonisten des M3-Unibral-Projektes zählen auch Professoren. Anlässlich des im April 2010 beginnenden „Deutsch-Brasilianischen Jahres der Wissenschaft, Technologie und Innovation 2010/11“ werden sie an die Gasthochschulen reisen, um gemeinsam zu forschen und in Curricula integrierte Gastvorlesungen anzubieten.

Danksagung: Die Projektkoordinatoren bedanken sich für die finanzielle Unterstützung bei den Regierungen Brasiliens und Deutschlands sowie beim DAAD und bei CAPES.

Publiziert in der Zeitschrift der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft, Topicos 1/2010, Seiten 62-63,
Original Publikation