Wissenschaftliche Begleitung der Beitragsrückzahlung im AOK-System

Prof. Dr. Th. Schäfer, Dipl. Statistikerin Astrid Nolde-Gallasch

 

- Drittmittelprojekt mit Mitteln des AOK-Bundesverbandes und der beteiligten AOKs -

 

Im Rahmen der Strukturreform im Gesundheitswesen wurde im Jahr 1989 das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Sozialgesetzbuch, fünftes Buch (SGB V) neu kodifiziert. Dabei hatte der Gesetzgeber für die Krankenkassen der GKV erstmals eine Art Experimentierklausel geschaffen, um die GKV weiter zu entwickeln und in die Lage zu versetzen, den wachsenden Herausforderungen der Zukunft mit größerer Flexibilität begegnen zu können als bisher.

Neben Möglichkeiten der Kostenerstattung, der Unterstützung der Versicherten bei Verhandlungsfehlern sowie der Gesundheitsförderung und Rehabilitation wurde damals auch die aus dem Bereich der privaten Krankenversicherung bekannte Beitragsrückzahlung als Erprobungsregelung in die GKV eingeführt.

Die inzwischen wieder geänderten Bestimmungen von § 65 SGB V Abs. 2 besagten, dass Mitglieder ein Zwölftel des Jahresbeitrages - bei Arbeitnehmern einschließlich des Arbeitgeberanteils - innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zurückerhalten, sofern sie in dem betreffenden Jahr länger als drei Monate versichert waren und sie und ihre mitversicherten Familienangehörigen keine Leistungen in Anspruch genommen haben. Haben die Kosten weniger als ein Zwölftel des Jahresbeitrages betragen, wird der Unterschiedsbetrag gezahlt. Bestimmte Vorsorgeleistungen sowie Leistungen für Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bleiben unberücksichtigt.

Die Beitragsrückzahlung wurde vom Gesetzgeber zunächst nur probeweise eingeführt, weil man davon ausging; dass die dafür erforderlichen Mittel erst längerfristig durch überlegten Umgang mit medizinischen Leistungen erwirtschaftet werden können und weil außerdem zu prüfen war, ob die damit gesetzten Anreize so weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen haben, dass die mit der Beitragsrückzahlung einhergehenden Einschränkungen des Solidaritätsprinzips eine ausreichende Rechtfertigung erfährt. Aus diesem Grunde wurde auch gesetzlich vorgeschrieben, dass alle Modellversuche zur Beitragsrückzahlung wissenschaftlich zu begleiten sind und das Ergebnis der Auswertungen veröffentlicht werden muß.

Als vorrangige Aufgabe der wissenschaftlichen Begleitung kann die Ermittlung bzw. Messung und Bewertung der (nicht nur monetären) Wirkungen der probeweise eingeführten Beitragsrückzahlung im Sinne einer Evaluation angesehen werden.

Neben einigen Betriebskrankenkassen und landwirtschaftlichen Krankenkassen haben auch verschiedene AOKs die Beitragsrückzahlung eingeführt. Im einzelnen handelt es sich um die AOK Ostholstein (ab 1991), die AOK Lindau (ab 1992), die AOK Mülheim (ab 1994) und die AOKs Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern (alle ab 1996). Die auf drei bis fünf Jahre angelegten Modellversuche sämtlicher AOKs (mit Ausnahme der zuletztgenannten) werden vom Fachbereich Wirtschaft Bocholt der Westfälischen Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WidO) wissenschaftlich begleitet.

Datenquellen stellen die Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der AOKs, die für die verwaltungsmäßige Abwicklung der Beitragsrückzahlung von den Modell-AOKs erhobenen und gespeicherten Versichertendaten und Befragungen dar, wobei alle personenbezogenen Daten anonymisiert wurden.

Schwierigkeiten der Evaluation erwachsen nicht nur aus dem enormen Datenumfang (es sind insgesamt mehr als eine Millionen Versicherte für mehrere Jahre in die Analyse einbezogen), sondern auch aus der Tatsache, dass in der Untersuchungszeitspanne durch die fortschreitende Reformgesetzgebung im Gesundheitswesen eine Reihe ausgabendämpfender Regelungen wirksam wurden, die in potentieller Konkurrenz zur Beitragsrückzahlung stehen und teilweise wesentlich größere Wirkungen entfalten als diese. Eine "Kontroll"-AOK ohne Beitragsrückzahlung mit einer vergleichbar tief gegliederten und aussagefähigen Datenbasis wie sie bei den Erprobungs-AOKs vorliegt, stand aus naheliegenden Gründen jedoch nicht zur Verfügung.

Veränderungen des Inanspruchnahmeverhaltens der Versicherten oder der Ausgaben der versichernden AOK infolge Beitragsrückzahlung können daher nur im Längsschnitt herausgearbeitet werden. Zu diesem Zweck kommen komplexe statistische Modelle wie die Logistische- und die Poisson-Regression zum Einsatz.

Redaktionell verantwortliche Person nach § 18 Abs. 2 MStV:
Dekan des Fachbereichs, Prof. Dr. Peter Nalbach