Gastvortrag von Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius – Wir beobachten uns zu Tode - Wie kann Kommunikation im Zeitalter von Digitalisierung funktionieren?

Mittwoch, 03. Januar 2018
Der gebürtige Bocholter Hans-Bernd Brosius ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilian-Universität in München und der wohl bekannteste Medienpsychologe deutschlandweit. Seine Lehrbücher „Methoden der empirischen Kommunikationsforschung“ und das von ihm mitherausgegebene „Lexikon der Medien- und Kommunikationswissenschaft“ zählen zum Standardrepertoire jedes Kommunikationsstudierenden. Auf Einladung von Prof. Dr. Julia Frohne referierte er am Institut zu der Thematik wie Kommunikation im Zeitalter der Digitalisierung funktionieren kann. Rund 120 interessierte Bachelor- und Masterstudierende nutzten die Möglichkeit, den Kommunikationsforscher persönlich kennenzulernen.

Längst steht fest: Die Digitalisierung verändert die Medienlandschaft. Doch wie verändert sich dadurch die Mediennutzung der Zuschauer, Zuhörer und Leser? Und welche Auswirkungen hat dies wiederum auf das Kommunikationsgefüge zwischen Individuum und Gesellschaft? Diesen Kernfragen geht Brosius in seinem Vortrag nach.

Die Medienlandschaft hat sich verändert

Print hat es schwer. Seit Jahren verzeichnen die deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage Rückläufe ihrer gedruckten Auflage. Abonnierten Menschen vor 30 Jahren Zeitungen, so wird mittlerweile fast ausschließlich das Internet genutzt. „Menschen altern mit ihren Medien und Medien mit ihren Menschen. Jede Todesanzeige ist gleichzeitig auch die Kündigung eines Zeitungsabonnements“, verdeutlicht Brosius und erntet ein Lachen seines überwiegend jungen Publikums. Was im Printbereich bereits mit einer Träne im Augenwinkel jedes Redakteurs Lebenswirklichkeit ist, geschieht mittlerweile auch im Zusammenhang mit der Fernsehprogrammatik: „Modularisierung, Fragmentierung und Beschleunigung“ sind hier die zentralen Umstellungen. Und so werden die Programminhalte immer kleinteiliger, individualisierter und schneller. Waren die Sender vor 20 Jahren noch trennscharf voneinander abgrenzbar, zeigt sich heute eine Überschneidung der verschiedenen Angebote.

Bereits 1985 beschreibt Neil Postman, ein amerikanischer Medienwissenschaftler, in seinem Buch „Amusing Ourselves to Death“, dass Fernsehen nicht für Idioten geschaffen sei, sondern diese erzeuge. Dabei ist Postman als Kritiker des Mediums Fernsehen der Ansicht, dass die Medienkultur der Menschen untergeht und das „Immunsystem gegen Informationen“ nicht mehr funktioniere. Eine Medienkritik, die heute häufig gegenüber dem Internet zu hören sei. Dabei sei das Internet zunächst einmal kein neues Medium, sondern eine Datenplattform, auf die sich zunehmend alle medialen Aktivitäten verlagerten. Damit verändere sich auch die Nutzung der Rezipienten an sich. „Wenn Menschen sagen ‚Ich bin 24 Stunden online’ ist das heute nicht mehr absurd, sondern die Realität. Sind es tagsüber moderne Kommunikationsformen wie WhatsApp, tätigen User nachts die Downloads der nächsten Episode ihrer Lieblingsserie.“

Digitalisierung schafft Demokratie pur

Nicht nur das jetzt und hier wird durch die Digitalisierung beobachtbar, sondern auch die Vergangenheit. „Wer würde schon sämtliche Ausgaben einer Printzeitschrift sammeln, nur um zu schauen, welche Veränderungen beispielsweise in der Themengebung stattfinden?“, konstatiert Brosius. Durch die Digitalisierung werden Inhalte zugänglich, vergleichbar und Trends können wesentlich leichter verfolgt werden. „Die Nutzer entscheiden durch ihre Nutzung, was relevant ist und was nicht“ und nehmen somit erheblichen Einfluss auf die Arbeitsweise von Journalisten. So gibt es heute Verlagshäuser wie die Washington Post, die den gleichen Artikel zunächst mit verschiedenen Überschriften für einige Stunden online stellen, um dann denjenigen, der mehr Leser anzieht, dauerhaft online zu stellen oder abzudrucken. Durch die Gelegenheit, alles kommentieren zu können und auch „alternative Sichtweisen“ anzubieten, wird die Diskussion gesteigert und es entsteht „Demokratie pur“. Eins bemängelt Brosius dabei jedoch auch: „Schade, dass es im Internet noch keine Netiquette gibt“. 

Die Wissenschaft verliert die Datenhoheit

Auch die Wissenschaft wird immer mehr von der Digitalisierung eingenommen und verliert die Datenhoheit. Die klassische Forschung wandert immer mehr zu Plattformen wie Facebook und Google, die durch ihre Allgegenwärtigkeit im Internet auch die besten Dateninformationen über die Nutzer besitzen. Die Gefahr steigt damit, dass die Universitäten und wissenschaftlichen Institute als unabhängige Forschungseinrichtungen über schlechtere Datenqualität verfügen als die Internetgiganten. So entsteht ein zunehmendes Risiko, das Ergebnisse nicht mehr auf unabhängigen Erhebungen, sondern auf interessensgeleiteten Daten basieren.

Es bleibt die Gretchenfrage

Doch „was sind Handlungsempfehlungen für junge Kommunikatoren im Zusammenhang der Digitalisierung“, fragen am Ende die Studierenden den berühmten Kommunikationswissenschaftler. „Honoriert guten Journalismus, spart an Spekulationen und lernt die Gefahren des Internets einzuschätzen“, entgegnet Brosius und hinterlässt beeindruckte Studierende.

Kategorien

  • Nachrichten des FB Informatik und Kommunikation