"Das war kein normales Interview"

Mittwoch, 03. Mai 2023
Susanne Petersohn hat sich aus ihrem Hotelzimmer in Kiew zugeschaltet. Hier lebt und arbeitet die ARD-Journalistin zurzeit. An diesem Tag ist sie zu Gast im Seminar Nachrichtenjournalismus. In den nächsten Tagen und Wochen wird sie auch aus anderen Regionen der Ukraine berichten. Vom Krieg. Und davon, was er für die Menschen in der Ukraine bedeutet.

Zum Beispiel für Galina Tishchenko. Die 60 Jahre alte Ukrainerin wurde am 19. März 2022 von einem russischen Soldaten vergewaltigt. Susanne Petersohn hat sie interviewt und einen Bericht für die Tagesthemen und den Weltspiegel gemacht. „Das war kein normales Interview“, sagt sie. Zwei Stunden habe sie mit Galina Tishchenko gesprochen. „In dem Stück haben wir hinterher nicht die schlimmsten O-Töne verwendet.“ Die Tagesthemen laufen zwar spät abends. „Aber wir erreichen die Menschen ja zuhause auf ihrem Sofa.“ Susanne Petersohn hat mit der Ukrainerin über alle Details gesprochen. Tishchenko war es wichtig, ihre ganze Geschichte zu erzählen. Auch um sicherzugehen, dass nichts aus dem Zusammenhang gerissen wird. „Es gab natürlich Menschen, die unseren Bericht angezweifelt haben“, sagt Susanne Petersohn. Aber sie hat die Informationen aus Galina Tishchenkos Erzählung gegengecheckt. Und Galina hat ihr ein Video geschickt von dem Datum, das sie an die Wand ihrer Wohnung gemalt hat. Das Datum, an dem der Soldat Galina Tishchenko vergewaltigt hat.

 

Das Stück für die Tagesthemen war 2 Minuten 14 lang, der Weltspiegel-Bericht mit 5:36 etwas länger. Susanne Petersohn hat vorher darüber mit ihrer Interviewpartnerin gesprochen. „Ich habe ihr gesagt, dass am Ende nur wenige O-Töne von ihr in dem Beitrag vorkommen würden – das war für sie in Ordnung, sie wollte ihre Geschichte erzählen“, berichtet Susanne Petersohn. In solchen Interviews kommt es für die Journalistin darauf an, den richtigen Ton zu treffen. Situationen, auf die sie sich nur schwer vorbereiten kann.

 

Auf andere Situationen hat sie sich schon vor ihrem ersten Ukraine-Einsatz im vergangenen Jahr vorbereitet. Die ARD schickt keine Journalistin, keinen Journalisten ohne Sicherheitstraining in eine Kriegs- oder Krisenregion. Wie sie sich in Gefahrensituationen verhalten soll, hat Susanne Petersohn in Deutschland auf einem Trainingsgelände am Flughafen in Düsseldorf-Weeze erfahren. „Wir haben beispielsweise gelernt, wie sich Schüsse anhören, die reinkommen und solche die rausgehen, was man tut, wenn man im Auto unter Beschuss gerät und wie man Schussverletzungen behandelt“, berichtet die Journalistin. Für den Notfall hat sie, wie alle im Team, immer ein medizinisches Paket dabei. Mit dem Material kann sie Wunden versorgen, Blutungen stoppen. Ihr medizinisches Material darf sie aber nicht teilen, hat man ihr eingeschärft. Es ist nur für sie gedacht. Für Susanne Petersohn schwer auszuhalten. Was tun, wenn jemand außerhalb des Teams kein eigenes Paket dabei hat?

 

Bei ihren Recherchen sind sie und ihre Kollegen mit einem Team aus Kameraleuten, Fahrern, Sicherheitspersonal und Producern unterwegs. Die Producerinnen und Producer kommen aus der Ukraine, sprechen also die Sprache und haben schon vor dem Krieg journalistisch gearbeitet. „Sie haben tolle Kontakte und bringen ihre Gedanken und Einschätzungen in die Recherche mit ein“, sagt Susanne Petersohn. Den Producern sei es wichtig, die ukrainische Perspektive zu vermitteln. Alle seien extrem engagiert, erzählt sie. An den Recherchen arbeitet das ganze Team mit. „Ich beziehe das ganze Team mit ein – jeder der Richtung Front reist, ist bereit sein Leben zu riskieren, da ist das nur fair“, sagt Susanne Petersohn.

 

In ein paar Wochen wird sie erstmal wieder zurück in Hamburg sein und weiter als jüngste Chefin vom Dienst bei den Tagesthemen arbeiten, Sendungen planen, Interviewpartner organisieren, Texte abnehmen. „Dabei war Journalismus eigentlich gar nicht mein Traumjob“, sagt sie. Erst als ihr ursprünglicher Berufsplan aus gesundheitlichen Gründen platzte, hat sie sich für den Journalismus entschieden. Ihr Interesse für Kriegs- und Krisenberichterstattung war aber von Anfang an da.

 

Von ihren Erfahrungen in Kiew berichtet Susanne Petersohn auch auf ihrem Instagram-Kanal @supetersohn

 

Den Weltspiegel-Beitrag über Galina Tishchenko gibt es hier: https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/Ukraine-Vergewaltigung-als-Kriegswaffe-100.html

 

Fotos: Susanne Petersohn

Text: Katharina Heimeier

Susanne Petersohn im Interview mit einem Ukrainer
Susanne Petersohn und Galina Tishchenko unterhalten sich bei einem Spaziergang auf einer Brücke
Susanne Petersohn mit Presse-Schutzweste vor der Kamera

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